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  walter meissl

gedankenskizze zu adolf holls treffender charakterisierung des wesens der suppe.

adolf holl schreibt in seinem essay "die frühstücksinfusion – eine kleine suppenphilosophie" über das wesen der suppe folgendes:

"die suppe in ihrer klarsten, geradezu essentiellen erscheinung, als reiner extrakt der gebrauchten substanzen, verkörpert das hohe ideal platonischen denkens, dieses beständigen nachsinnens über das verhältnis zwischen der vielfalt des seienden und der einheit des seins. der langsame prozeß der verwandlung verschiedener zutaten aus ihrem grob stofflichen dasein in eine verfeinerte einheit ihrer wesentlichen bestandteile kann dem kochenden subtile augenblicke philosophischer erleuchtung bescheren." (in: christoph wagner, robert sedlaczek (hersg.), österreich für feinschmecker, das kulinarische jahrbuch 1995, deuticke).

diese treffende und tiefsinnige bemerkung über das wesen der suppe beschreibt im grunde das wesen der vermischung, des wandels, der metamorphose. es ist der wechsel vom allgemeinen zum besonderen, von der vielfalt zur einfalt. die suppe ist der manifeste ausdruck wie aus der vermischung grobstofflicher zutaten ein verfeinerter, man könnte sagen kultivierter geschmack entsteht.

suppe kochen stellt zweifelsohne eine kulturtechnik dar. es ist die kunst, das vielfältige zu einer einheit zusammen zu führen. hier wird auf konkreter materieller ebene, auf der sinnlichen ebene des schmeckens, dieses verhältnis vom vielfachen mit dem einfachen zur anschauung, oder sollte man sagen, anschmeckung gebracht. wie läßt sich nun diesem verhältnis nachsinnen?

so wie oben holl schreibt, ist das vielfache in der praktisch unbegrenzten zahl an möglichen suppenzutaten zu finden, während die jeweils fertig gekochte suppe die einheit bildet. bei der auswahl und bei der kombination der einzelnen zutaten gibt es keine einschränkungen. kombiniert kann jedes mit jedem werden, wenn man bestimmte grunderfordernisse des suppenkochens beachtet. es gibt für das suppe kochen allgemeine grundregeln, die es erlauben, einerseits beliebige kombinationen auszuprobieren, die aber andererseits gewährleisten, daß eine essbare, schmackhafte suppe herauskommt. die regeln leiten sich aus den folgenden kriterien ab: materialkenntnis, unvoreingenommenheit, respekt, empfindungsfähigkeit, aufmerksamkeit.

richtet man sich bei der zubereitung einer suppe nach diesen kriterien, dann ist die unbeschränkte vielfalt des seienden jeweils in der einzelnen suppe zur einheit des seins zusammengefasst.

obwohl also die variationsfähigkeit der suppe unbegrenzt ist, ist sie dennoch nicht beliebig. es bedarf dieser hier angeführten kriterien, um auch eine unbegrenzte anzahl an schmackhaften suppen zu generieren.

was bedeuten diese kriterien nun im einzelnen? materialkenntnis setzt voraus, dass ich über beschaffenheit, provenienz, garzeiten, schäl- und schneideoptionen, etc. der verwendeten zutaten bescheid weiß. knollen und wurzeln wachsen unter der erde und sind robust und kräftig, grüne blätter speichern energie in form von sonnenlicht, knospen und blüten sind von zarter, zerbrechlicher natur, schoten und früchte sind konzentrate neuen lebens. die einen müssen lange gegart werden, die anderen werden frisch über die fertige suppe gestreut. die art des schneidens, ob stiftelig, würfelig oder scheibig ist mitentscheidend für unterschiedliche geschmacksnuancen. einige kann man lange kochen bis sie ganz weich sind, andere werden nur kurz blanchiert und einige kocht man al dente. isst man fleisch, so isst man ein tier. das sollte man immer im auge behalten. man isst die geschichte des tieres mit. deshalb ist auch hier eine gründliche materialkenntnis nötig: wie hat das tier gelebt, wie wurde es behandelt und gefüttert, wie geschlachtet und zerlegt. man muß kenntnis der verschiedenen teile des tieres haben. wozu verwendet man die knochen, das fleisch, das fett, die haut, das mark. wie bleibt der saft im fleisch, wie wird die schwarte zart und knusprig. das kollagen ist gesund für die gelenke. beize macht müdes fleisch wieder munter. eine endlose reihe an kenntissen über die verwendeten materialien ist notwendig, um die variationsreiche fülle an unterschiedlichen suppen ausschöpfen zu können. die materialkenntnis ist jenes kriterium, das uns mit den zutaten vertraut macht, ein verständnis für deren eigenheiten ermöglicht und dadurch das unterschiedene zur einheit des seins zusammmenfügen kann. materialkenntnis ist menschenkenntnis, könnte man sagen. auch der mensch ist ein tier, eine pflanze, ein stein. und in dieser weise sollte man kenntnis von den einzelnen menschen erlangen: wie sie leben, wie sie empfinden, welche geschichte ihrem verhalten zugrunde liegt. wenn man das material des menschen kennt, dann kennt man sowohl die ungeheure vielfalt der einzelnen individuen, wie auch deren gemeinsamkeiten. und die sind wesentlich umfangreicher, als so mancher wahrhaben will. das material mensch funktioniert doch ziemlich gleich. alle bestehen aus fleisch, knochen, gewebe, blut, etc., sie haben diesselben organe, diesselben bestandteile, die wiederum alle aus eiweiß, fett und kohlehydraten zusammengesetzt sind. alle menschen atmen, sie gehen, stehen, liegen und sitzen, sie haben angenehme, unangenehme und indifferente gefühle, sie bilden in abhängigkeit zu ihrer jeweiligen geschichte ein gedankliches universum in ihrem kopf und entwickeln in wechselwirkung dazu begehrliche, zufriedene, verwirrte, klare, gehässige und liebevolle gemüts- und bewußtseinszustände. bei kenntnis all dieser merkmale und eigenschaften wird sich leicht erkennen lassen, dass die individuellen unterschiede und abweichungen zwischen den individuen, den kulturen und gesellschaften im verhältnis zu deren übereinstimmenden gemeinsamen ausstattungen und daraus resultierenden verhaltensweisen, sich marginal und vernachlässigbar ausnehmen. es ist also ein unverzichtbares kriterium für die vielfältigen, guten, schmackhaften suppen, die materialen aus denen sie gekocht werden, zu kennen. ebenso unverzichtbar ist die kenntnis der materialien aus denen sich die unterschiedlichen menschen zusammmensetzen, weil dadurch die gemeinsamkeiten aller menschen gegenüber ihren verschiedenheiten hervortreten und so den menschen als zoon politikon verständlich machen.

die unvoreingenommenheit, ein weiteres wichtiges kriterium für die entfaltung der grenzenlosen suppenlandschaft. sie ist gewissermaßen eine voraussetzung für die materialkenntnis. es ist wichtig der suppe vorurteilsfrei zu begegnen. d.h. differenzieren zu lernen, zwischen den ankonditionierten geschmacksempfindungen und neuen, unbekannten suppengeschmäckern. unser geschmack ist – wie sovieles andere – durch frühkindliche konditionierungen auf die küche unserer kindheit fixiert. vielfach bleibt diese konditionierung ein leben lang unverändert bestehen, ohne je als solche erkannt und hinterfragt worden zu sein. dies führt zu einem unproduktiven selektionsverfahren, das die jeweilige, zufällig und willkürlich ankonditionierte geschmacksempfindung als einzig richtige, gültige, schmeckbare bevorzugt. ein wahrer hemmschuh in der entwicklung unserer geschmackserkenntnis. erst wenn ich mit ab- und einsicht meine eigene konditionierung beiseite stelle und einem neuen geschmack unvoreingenommen gegenübertrete, versetze ich mich in die lage, einen geschmacklichen erkenntisgewinn zu erzielen. mit einem mal, steht mir die ganze welt der bekannten und noch unbekannten suppenwelt offen und ich kann zu meinem eigenen vorteil meine geschmackskonditionierung aufheben. diesen erkenntnisgewinn durch unvoreingenommenheit erzielt man auch in der begegnung mit anderen menschen. auch in unserem verhalten zueinandner sind wir durch biographische und kulturelle frühkindliche konditionierungen geprägt. ein mensch, der uns mit unvertrauten konventionen gegenüber tritt, erscheint uns als fremd und bedrohlich, als ungenießbar und geschmacklos. doch ein moment des innehalten würde genügen, um unsere eigene, willkürlich angelernte konvention, als ursache der geschmacklosigkeit zu erkennen. um das material mensch kennenzulernen, bedarf es der unvoreingenommenheit, d.h. die vorkonditionierten wertmäßstäbe auszublenden, um die materialbeschaffenheit des menschen freizulegen. dann wird sich zwangsläufig die ähnlichkeit und die verbundenheit als wesensmerkmal aller menschen herausstellen.

als weiteres suppenkriterium der respekt. ohne gefühl für den wert der einzelnen zutaten kann keine gute suppe gekocht werden. respekt bedeutet in erster linie, das gemüse, das tier, den fisch nicht bloß in seinem dasein, sondern vielmehr in seinem sosein ernst zu nehmen. respekt und damit verbunden dankbarkeit gegenüber dem, was uns als nahrung dient, ist unerläßlich. eine gute suppe kann nur gekocht werden, wenn ich der kartoffel, dem lauch, dem rind oder schaf nicht gleichgültig, sondern mit anteilnahme gegenübertrete. es ist ein herrlicher anblick, einem frisch gewaschenen, noch unmarinierten salatkopf gegenüber zu sitzen. danke, lieber salatkopf, dass du so schön bist, möchte ich sagen. ich schaue ihn an und er erfüllt mich mit freude und ich respektiere ihn, gerade so wie er ist. unlängst kaufte ich frische, grüne oliven aus italien. ich servierte sie in einer ovalen, weissen schüssel und bei deren anblick war ich schlicht begeistert. mit ihrem fetten glanz, ihrer prallen frucht, umgeben von dem reinen weiß des porzellans konzentrierten sie auf meinem tisch eine vorstellung von der landschaft, dem baum, der sonne in der sie gewachsen und gereift sind. das was sich auf solche weise dem betrachter mitteilen kann, ist nur möglich durch den respekt, den ich diesen oliven entgegenbringe. der respekt dem anderen gegenüber bestimmt in hohem maße die art der wahrnehmung, empfindung und vorstellung, die ich von dem anderen entwickle. wahrnehmen, empfinden und vorstellen sind prozesse, die von unserer haltung der welt gegenüber abhängen. respekt ist ein positives vorurteil, das die kommunikation unter den menschen erleichtert, ja vielleicht überhaupt erst möglich macht. jemanden, den ich nicht respektiere, werde ich wahrscheinlich auch schwer verstehen. auch wenn man einem mörder keinen respekt schuldig ist, so ist man doch dem menschen gegenüber zu respekt verpflichtet. weil es nämlich die einzige möglichkeit darstellt, den einzigen, nicht disponierbaren gemeinsamen nenner aller menschen anzusprechen: sein menschsein. wer also gute suppen kochen und seinen geschmack entwickeln will, braucht respekt.

weiters braucht eine gute suppenköchin empfindungsvermögen. ganz allgemein gilt das empfindungsvermögen als die fähigkeit zwischen angenehmen, unangenehmen und indifferenten wahrnehmungen zu unterscheiden. im weiteren meint empfindungsvermögen aber auch nachempfinden, sich hineinversetzen, mitfühlen. man muß sich in die suppe hineinversetzen können, um ihren geschmack nachzuempfinden. ich muß die alchemistische verwandlung des kochprozesses empathisch miterleben. die durch das kochen bewirkte metamorphose kann in der art des brutzelns, köchelns, simmerns, wallens nachempfunden und solcherart verstanden werden. das entwickelte empfindungsvermögen erzeugt innere anteilnahme. nichts ist der guten suppe abträglicher als gleichgültigkeit, desinteresse, ignoranz. es kann keine ignoranten guten köche geben. die gute köchin lebt mit der suppe mit. sie versteht die suppe nicht nur in ihren äußeren erscheinungen, in ihrer materialbeschaffenheit, in den wärmetechnischen prozessen ihrer fertigstellung. die gute köchin versteht die suppe durch ein tief empfundenes mitgefühl. sie weiß, wie sich die suppe fühlt und deshalb ist sie in der lage, eine gute suppe zu kochen.

ebensowenig wie es ohne entwickeltes empfindungsvermögen eine gute suppe gibt, ebensowenig gibt es ohne ein solches empfindungsvermögen einsicht und verständnis zwischen den menschen. das größte übel für suppe und mensch ist die empfindungslosigkeit. es setzt die fähigkeit außer kraft, im anderen vorhandene gefühle der freude, trauer, des zornes, der liebe, usw. wahrzunehmen. mit der fähigkeit des mitfühlens erhalten wir eine weitere möglichkeit essentielle gemeinsamkeiten zwischen allen menschen zu erkennen. im großen und ganzen werden alle menschen von den gleichen umständen zu freude, trauer, begeisterung, verzweiflung, etc. veranlaßt. jeder mensch will unangenehmes vermeiden und angenehmes herbeiführen. und weil dem so ist, freut sich jeder mensch, wenn der andere grund zur freude hat und ist traurig, wenn der andere trauert. nur für jenen menschen, der in seinem empfindungsvermögen abgestumpft ist, fehlt auch die möglichkeit des mitempfindens und damit die möglichkeit des verständnisses.

als letztes kriterium für die unendliche vielfalt guter suppen sei das vermögen zur aufmerksamkeit genannt. aufmerksamkeit als grundvermögen unseres bewußtsein ist das fundament, auf dem das ganze suppenuniversum ruht. materialkenntnis, respekt, unvoreingenommenheit und empfindungsvermögen können als kenntisse oder fähigkeiten nur dann zur anwendung kommen, wenn sie von aufmerksamkeit veranlaßt, gesteuert und begleitet werden. die kenntnis des materials wäre keine kenntnis, wenn sie unserer aufmerksamkeit entginge. der respekt wäre nur halb soviel wert, würde er quasi automatisch oder ungewollt erfolgen. die unvoreingenommenheit setzt die bewußte relativierung des eigenen standpunktes voraus und die empfindungsfähigkeit richtet sich nach intensität und umfang unserer wahrnehmungen. die gute suppenköchin kann gar nicht anders, als mit aufmerksamkeit zu kochen. denn mit aufmerksamkeit kochen heißt, zu wissen, was man tut. würde jemand ohne aufmerksamkeit eine gute suppe kochen wollen, so hinge das gelingen vom puren zufall ab. denn ohne aufmerksamkeit könnten suppen aus allem möglichen, auf jede erdenkkbare weise, unter allen umständen gekocht werden. mit glück könnte darunter auch die eine oder andere gute suppe sich finden lassen. doch die gute köchin wird im gegenteil mit aufmerksamkeit kochen, um am kochgeschehen ihre aufmerksamkeit zu schulen und zu vertiefen. durch diese wechselseitige beeinflussung von aufmerksamem kochen und durchs kochen gesteigerter aufmerksamkeit dringt die gute köchin immer tiefer in das geheimnis vom wesen der suppe vor. gleichzeitig enthüllt die in ihrem wesen immer gründlicher erkannte suppe, das wesen der aufmerksamkeit. und dies gilt ebenso für den menschen. der mensch, der seine aufmerksamkeit im umgang mit sich und den anderen schult, erkennt zunehmend das wesen des anderen menschen, das gleichzeitig sein eigenes und das aller anderen menschen ist. die schulung der aufmerksamkeit läßt ihn in der fülle des anderen, die einheit seines selbst erkennen. dieses nachsinnen über die vielfalt des seienden im verhältnis zur einheit des seins, erweist sich als dialektischer fortschritt in der entwicklung und entfaltung unserer aufmerksamkeit. das vielfältige sind die einzelnen menschen, das einfältige ist ihr gemeinsames menschsein. die vielfalt des seienden, ruht auf der einheit des seins.