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durch das autobahngewirr von düsseldorf nach frankfurt am main.

ich muß um 13h im weser5 sein, denn dort wird pünktlich die tägliche gratissuppe ausgeschenkt. ich bin bereits eine knappe stunde früher da.
gerhard der koch ist gerade dabei, grießnockerl mit einem teelöffel in die bereits fertige suppe zu platzieren. obwohl er sich nichts anmerken läßt, spüre ich, dass gerhard der jahressuppe gegenüber skeptisch ist. irgendwie traut er dem ganzen nicht so recht, weshalb er als erstes den halben liter aus der thermoskanne in einen separaten topf leert. auch um 1h, also zur zeit der suppenausgabe, befindet sich die jahressuppe noch einsam und alleine im separattopf. gerhard schenkt die erste suppe aus und noch immer ..... jetzt muß ich handeln. ich erkläre gerhard, dass die jahressuppe in den großen topf kommen muß, um ihren zweck zu erfüllen, was nun in meinem beisein auch geschieht und so die vielen geschmäcker zu dieser und zu diesen vielen, jener eine dazukommt.

gerald hintze, verantwortlicher der diakonie, kurator und diplomierter pädagoge, erklärt mir ausführlich die zielsetzungen und die durchführung jenes programmes, auf dem die arbeit der weissfrauen diakoniekirche beruht. grundsätzlich wird hier versucht, menschen, die aus welchen gründen immer, keine arbeit, keine wohunung und kein geld haben, als gleichwertige bürger_innen zu behandeln, die eine hilfe zur selbsthilfe benötigen. die hilfe zur selbsthilfe beruht in erster linie darauf, dass ein mensch zu einem bestimmten maß an innerem gleichgewicht findet, das ihn instand setzt, eigenverantwortliche handlungen zu setzen. um dies zu erreichen, sind unter anderem räumliche rückzugsmöglichkeiten nötig, in denen die menschen zu einer intimen beziehung zu sich selbst gelangen können. für solche bedürfnisse wird hier gesorgt. es wird versucht, eine atmosphäre zu schaffen, die ein mindestmaß an geborgenheit vermittelt.
und natürlich ist ein wesentlicher teil des diakonischen hilfswerkes die unmittelbare betreuung auf der strasse, die hilfestellung bei behördenwegen, sowie ganz allgemein, als anlaufstelle für mögliche problemlösungen zu fungieren.
das interessante an diesem programm ist, dass es nach außen hin völlig offen ist, d.h. es gibt keinerlei einschränkungen in bezug auf ein bestimmtes maß an bedürftigkeit. nach innen wirkt dieses programm beruhigend. es ist beruhigend zu wissen, dass man sich an jemanden wenden kann und es beruhigt, wenn man wieder einmal allein in einem zimmer schläft. das sind minimale voraussetzungen, um zu dem zu kommen, was man unter innerer ruhe versteht. seelenruhe, wie es in verschiedenen philosophischen traditionen genannt wird. und um diesen seelenfrieden geht es auch in den religionen. auch wenn sich dies nicht immer deutlich genug bemerkbar macht. umso erfreulicher ist es, dass hier eine kirchliche institution nicht nach einer bekehrungsprämisse handelt, sondern nach dem grundsatz, dass einem notleidenden menschen unabhängig seines bekenntnisses geholfen werden muß. diese hilfe bezieht ihre motivation nicht aus einem übergeordneten zweck, sondern aus sich selbst. nämlich insofern, als ihr die einsicht in das wesen des menschen zugrunde liegt. dieses wesentliche des menschlichen daseins besteht in der tatsache, dass er in eine gemeinschaft hineingeboren ist, für die er von anfang an verantwortung übernimmt, wie umgekehrt, die gesellschaft verantwortung für den einzelnen trägt.

das haus mit den wohneinheiten, dem tagestreff, der küche, dem fernseh- und computerraum steht direkt neben der diakoniekirche im bahnhofsviertel von frankfurt. sie wird – wie mir gerald hintze erläutert – als vielfältiger veranstaltungsort genützt. neben messfeiern, konferenzen, dj-abenden finden hier immer wieder durchaus kontroversielle ausstellungsprojekte zeitgenössischer künstler_innen statt. morgen freitag, ist vernissage der ausstellung „bittedanke“ des angewandten monochromisten andreas exner. im foyer plakate mit monochromen teilen; im leeren, unbestuhlten kirchenraum, eine dreireihige, fahrbare kirchenbank mit urlaubsfotos unter glas, um daran zu erinnern, dass man sich als kind in der kirche oft gelangweilt hat und man sich unterhalsame bilder gewünscht hätte; ein flacher, grauer quader, in den ein schwarzes, gefülltes wasserbecken eingelassen ist und worin sich die runden, blauleuchtenden glasfenster spiegeln; und ein riesiger färbiger flickenvorhang, der von der empore herunterhängt und sich noch gut einen meter auf dem fußboden ausbreitet. während dieser vernissage wird morgen die jahressuppe gekocht. ich muß leider schon heute zurück nach österreich. peter wird die suppe am samstag hier abholen und nach bochum bringen.

koch: gerhard im weser5
rezept: grießnockerlsuppe
galerie: tagestreff weser5
koordinaten: 50.107622, 8.670590

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