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der begriff der interventionistischen kunst geht auf joseph beuys und seine vorstellung von der sozialen skulptur zurück. die soziale skulptur begreift die gesellschaftlichen beziehungsmuster als gestaltbares medium, das vom künstler bearbeitet wird, um bestimmte reaktionen und handlungsabläufe zu intendieren oder zu provozieren. es entsteht ein dynamisches gebilde, das in seiner form nicht eindeutig festgelegt ist, da es einen offenen handlungs- und spielraum als angebot in eine bestimmte soziale umgebung stellt, die auf nicht eindeutig vorhersehbare weise durch interaktion ausgefüllt wird.

in diesem sinn könnte man die interventionistische kunst als eine politische kunst verstehen, da die politik seit jeher nichts anderes macht, als eben dies. die soziale skulptur war und ist seit jeher das gestaltungsfeld der politik. fidel castro hat das völlig richtig erkannt, wenn er bemerkt, dass die revolution ein kunstwerk ist. ist nun kunst nichts anderes als politik? eher verhält es sich umgekehrt. die politik kann sich anspruchsvoll als kunst, als staatskunst, verstehen. das heißt, die politik bedient sich künstlerischer strategien der gestaltung von sozialen rahmenbedingungen. künstlerische oder ästhetische strategien sind solche, die möglichkeiten von vereinbarkeit, von stimmigkeit, von bedingungen für spannungs- und lösungsverhältnisse, von strukturierung und rhythmisierung liefern. in diesem sinne ist die kunst erkenntnistheoretisch relevant und in diesem sinne ist sie allgemein und kann deshalb in ihren prinzipien auch universell eingesetzt und angewandt werden. so etwa kann sich die heilkunst auf solche prinzipien berufen und deshalb zurecht als kunst gelten. jedoch wäre es überzogen, von einer medizinischen kunst zu reden. die kunst vermag vielleicht in gewissem sinne heilsam zu sein, doch nur dadurch, indem sie sich auf sich selbst besinnt. man vergleiche dazu die historischen beispiele des frühen 20. jahrhunderts: der explizit politische sozialistische realismus oder die in ähnlicher weise instrumentalisierte kunst der nazis entlarvt sich in ihrem hohlen pathos von selbst als propagandistische phrase, während die sogenannte entartete kunst, die sich mit sich selbst beschäftigte, als die eigentlich politische kunst gelten muss. wenn also heute von interventionistischer kunst die rede ist, dann sollte man bescheiden sein und nicht mit der attitüde der politischen und sozialen unentbehrlichkeit hausieren gehen.

wenn das jahressuppenprojekt als interventionistische kunst verstanden werden soll, dann heißt dies nicht mehr und nicht weniger, als

  • dass durch die vorgabe der raumzeitlichen struktur “jahressuppe” eine assoziationsmaschine in gang gesetzt wird, die zur kreativen beschäftigung mit nachfolgenden themen provoziert:
    • historischen: geschichte der suppe als älteste, gekochte nahrung; persönliche suppengeschichten; etc.
    • soziologischen: bedeutung der suppe in verschiedenen sozialen mileus, z.b. klostersuppe, armensuppe, die großen suppentöpfe für festessen; die ogliosuppe der wiener hofbälle; etc.
    • ästhetischen: bild- und filmdokumentation; etc.
    • gastrosophischen: verdünnung und kontinuität; die suppe als metapher; identität und differenz, das homöopathische potenzierungssystem; etc.
    • narrativen: geschichten zur suppe: die 100 jährige suppe in china; das suppenmärchen; etc.
    • ernährungsphysiologischen: die tradition der morgensuppen; nährwertanalysen; etc.
  • dass eine reihe unbekannter menschen aus verschiedenen ländern auf eine einfache weise in form von geschichten und geschmäcker miteinander verbunden und in beziehung gesetzt werden,
  • und dass daraus ein bleibender wert in form einer text-, bild- und filmdokumentation hervorgeht.