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Anton Staudinger KLEINE KNÖDELWASSERPHILOSOPHIE Bruchstück einer Anleitung zu kulturell bemühter, weil genußorientierter Restlverwertung (Tischrede zum Symposion Essen und Trinken in Mitteleuropa, 18.September 1991 im Wiener Rathauskeller) Alles ist eßbar, unter der Voraussetzung schluckgerechter Portionierung, versteht sich. Nicht alles Eßbare freilich wird überlebbar sein, versteht sich ebenso. (Ein Hinweis etwa auf den im Regelfalle wohl nur singulär und kaum wiederholt zu leistenden Verzehr eines kulinarisch noch so fulminant gelungenen Gerichtes aus Knollenblätterpilzen soll hier nicht unterdrückt werden...) Der Fundus an überlebbaren Essens- (und Trink-) Materialien zeigt sich für Hungernde (Dürstende) größer als für viele Genußsüchtige. (Auch keine frappante Einsicht). Aber: "Hunger ist ein schlechter Koch" (Bertolt Brecht). Benötigt also Essens-Genuß - als eine der denk- und leb-würdigen Dimensionen von Kultur - so etwas wie sündteure Exklusivität als Voraussetzung zum Genießvollzug? Keineswegs, das wissen Sie ebenso gut wie ich. Essens- und Trink-Genuß erfordern vielmehr, in schmeckneugieriger Orientierung Erfahrungen zu sammeln, also Wissen zu akkumulieren, um so die Genieß-Phantasie und schließlich den Genuß-Horizont zu erweitern. Wichtig ist also nicht, welchen Preis oder welches Image ein Material hat, das dem Verzehr zugeführt werden soll, sondern was daraus - im wahren Sinne des Wortes - Genießbares gemacht werden kann. Tafelresten wird im allgemeinen wohl kaum hoher Prestigewert beigemessen; - Prestigeverlust hatten sogar die Reste der "weiland" kaiserlichen Hoftafel erlitten, weil diese Speisen bei der "Schmauswaberl" wohlfeil erstanden werden konnten. Jedoch: welche Wohlgeschmäcker sind nicht verbunden etwa mit Gerichten aus (sonn- und fest-, aber wohl nicht alltäglichen) Braten- oder Kochfleischresten: Knödel, dieses in "Mitteleuropa" so weit verbreitete und variantenreich gestaltete Kulturprodukt, Knödel also werden überwiegend in siedendem Salz-Wasser gegart (falls nicht im Rohr gebraten, oder in Fett gebacken). Nur ein Rezept sei vorgeschlagen: Auch "alt" gewordenes, rechtzeitig vor eingetretener bißunfreundlicher Stein-Härte in dünn geschnittenen Scheibchen konserviertes Schwarzbrot könnte mit dieser Suppe (oder schlicht mit wieder erhitztem Knödelwasser) übergossen und so für den Genuß löffelbar gemacht werden. Luxuriösere Auffettungen mittels Milch, Obers, crème fraîche, Rahm, (Blauschimmel-)Käse, geröstetem Zwiebel, oder aber auch Grammeln sei dem jeweiligen Gusto bzw. leistbarer Aufwendung überlassen... So gewiß sich manche der ungerechterweise als Un-Kräuter diffamierten Pflanzen, wie eben die Gundelrebe, kulinarisch verwerten lassen, so adäquat lassen sich die Knödelwässer auch als geeignete Garflüssigkeit für alle jene Speisen verwenden, denen zur größeren Genießbarkeit eine ganz leichte Bindung gut tut. Dies gilt auch für die Garwässer der Süßspeis-Knödel, nämlich zur Herstellung der etwa in Ungarn (und früher auch bei uns) vor allem im Sommer gebräuchlichen, kalten Obst- und Beerensuppen... Mit dieser kleinen Knödelwasserphilosophie, die sich in einer engeren Geschmacksvariantenbreite auch als kleine Nudelwasserphilosophie formulieren ließe, fühle ich mich ganz und gar nicht von einer zwänglerischen, geifernd-eifernden Verwertungswut befallen, die augenzwinkernd mit dem Hunger in der Welt kokettiert, sondern ich versuche so, in einer den gelernten (regionalen) Traditionen verpflichteten Genieß-Orientierung, die jedoch allein schon aus Schmeck-Neugier den Anregungen auch aus wenig und weit entferten Regionen offensteht, den vorfindlichen Verzehrmaterialien (und seien diese sozusagen auch "nur" Restl) jenen gebührenden gesellschaftlichen Respekt zu zollen, den uns eine weltweit vernetzt und angeblich an Gesundheit (wohl eher am „Markt“) orientiert agierende, die historisch vielfältig entwickelten Geschmäcker aber reduzierende Nahrungsmittelindustrie - wie es häufig den Anschein hat - austreiben will. |
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